Julia ist erfolgreiche Dirigentin, glücklich liiert mit Georg. Einzig ein Kind fehlt dem Paar in den 40ern noch, eine Kinderwunschklinik mit hoher Erfolgsquote soll Abhilfe schaffen. Und tatsächlich: Julia (Marie Leuenberger) wird im ersten Versuch schwanger, die Vorfreude auf das Kind ist gross.
Vergleichsweise unspektakulär beginnt der Film «Mother`s Baby» der österreichischen Regisseurin Johanna Moder, um sich dann recht zügig unbequemen Fragen zu widmen. Etwa was, wenn eine Mutter keine Verbindung zu ihrem Neugeborenen aufbauen kann? Oder wenn sie an ihrer Rolle als Mutter zweifelt, sie – anders als erwartet – gar nicht geniessen kann?
Wenn das Muttersein zum Albtraum wird
Der düstere Thriller von Regisseurin Johanna Moder rüttelt an Tabus wie der postpartalen Depression. In der Hauptrolle glänzt die Basler Schauspielerin Marie Leuenberger.
Düster und atmosphärisch: der Thriller «Mother`s Baby» (Filmstill: Filmcoopi)

Das Kind, ein fremdes Wesen
Denn nach der komplizierten Geburt wird dem Paar der neugeborene Sohn vom Klinikpersonal weggenommen. Er soll wegen Sauerstoffmangels auf der Neonatologie eines anderen Spitals beobachtet werden. «Du musst jetzt ganz stark sein», sagt die Hebamme zu Julia. Ein Satz, der erstes Unbehagen aufkommen lässt.
Am nächsten Tag wird das Kind zwar den Eltern gebracht. Doch die Freude über den Nachwuchs bleibt bei Julia aus. Sie empfindet das Kind als fremdes Wesen, zweifelt zunehmend daran, die leibliche Mutter zu sein. Und geht ihren Zweifeln schlussendlich nach, um eine verstörende Entdeckung zumachen.
Zum Gespräch in Zürich: Schauspielerin Marie Leuenberger, Regisseurin Johanna Moder und Drehbuchautor Arne Kohlweyer. (Foto: Cornelia Krause)
Regisseurin Moder rüttelt mit dem Film, uraufgeführt an der Berlinale, an einem Tabu: Dem Ausbleiben der bedingungslosen Mutterliebe, dem Glück des Mutterseins, unmittelbar nach der Geburt. Denn obwohl über postpartale Depressionen vermehrt gesprochen wird, propagieren Influencerinnen in den sozialen Medien fleissig das Hochglanz-Familienglück. Und auch im Umfeld werdender Eltern wird in der Regel angenommen, dass sich Muttergefühle automatisch einstellen, wenn das Kind auf der Welt ist.
Derartige Erwartungen übten gesellschaftlichen Druck auf die Frauen aus, so die Filmemacherin im Gespräch mit «reformiert.»: «Der kommt zur gesamten Umstellung des Lebens hinzu.» Moder, selbst zweifache Mutter, verarbeitet mit dem Film zum Teil eigene Erfahrungen. «Die Mutterschaft hat mich damals überrollt, ich war fassungslos, wie anders es ist, als ich erwartet habe», sagt sie. Die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema habe ihr auch die Chance gegeben, die einschneidenden Veränderungen zu verarbeiten. Weil ihr das Thema persönlich so nahe ging, holte sie sich Unterstützung: Ihr 20-seitiges Scrip gab sie an Autor Arne Kohlweyer zur Entwicklung des Drehbuchs weiter.
Enorme Spannung in alltäglichen Szenen
Herausgekommen ist ein Film, der Aspekte der Mutterschaft zeigt, die sonst oft nur im Kreis sehr guter Freundinnen besprochen werden. Etwa traumatische Geburtserlebnisse, die Langeweile, die ein Alltag mit Säuglingen während der Elternzeit bisweilen mit sich bringt und die Ungleichheit, die sich in viele Familien einschleicht. Julias Beziehung mit Georg (Hans Löw) wird zunehmend auf die Probe gestellt. Und auch zu Familienangehörigen und Freunden entsteht eine Distanz, zweifeln sie doch vermehrt an Julias Verstand und Urteilsvermögen.
Der Film lebt von einer enormen Spannung, die sich in Alltagsszenen aufbaut und in denen oft eine Zweideutigkeit mitschwingt. Leuenberger spielt die Rolle der Julia so nah und glaubwürdig, dass sich die Zweifel der Protagonistin synchron auch auf Zuschauer oder Zuschauerin übertragen.
Nicht für schwache Gemüter
Schon beim ersten Lesen des Drehbuchs sei sie fasziniert gewesen, wie sie sich um die Protagonistin gesorgt habe, sagte Leuenberger im Gespräch mit «reformiert.». «Und diese Sorge entspinnt sich in alltäglichen, realistischen Szenen, die jede Frau und sicher auch viele Männer, die Kinder haben, kennen.»
Angesichts der düsteren Stimmung und dem Spannungsaufbau lässt sich der Film wohl am ehesten im Genre Psychothriller verorten, wenngleich sich Moder nicht endgültig festlegen will. Fakt ist: Das Ende überrascht und ist für schwache Gemüter weniger geeignet.
«Diese Geschichte musste sich so erzählen, wollte sich so erzählen.», sagt Regisseurin Moder. Für Leuenberger ist der Film nicht nur eine Geschichte über Mutterschaft, sondern vor allem über die Intuition, «diese Kraft, die in so vielen Momenten des Lebens ein Wegweiser ist».
«Mother`s Baby» von Regisseurin Johanna Moder, 108 Minuten, Kinostart 18.9.2025